Dienstag, Oktober 17, 2006

Ich und die anderen von Matt Ruff

Was gibt es für Neuigkeiten aus meiner Lesekiste ? Das goldene Händchen hat wieder zugeschlagen und guten Geschmack bewiesen, obwohl ich fast schon ahnte, dass Ich und die anderen von Matt Ruff ein Selbstgänger werden würde. Matt Ruff dürfte einigen von euch bekannt sein durch seine Bücher Fool on the hill und G.A.S., mit denen sich der aus Queens stammende Autor einige gläubige Anhänger herangezüchtet hat, die bei jeder Neuerscheinung gleich mit dem Schlachtruf "Kult" um die Ecke kommen. Aber irgendwie ist da schon was dran. Ging es in der Fantasy Novelle Fool on the Hill noch um das Zusammentreffen zwischen absolut Gut und absolut Böse, in G.A.S., um den Versuch das Genre des Comics oder Cartoons in die Form eines Romans zu transferieren; ja dann geht es in seinem letzten Roman Ich und die anderen, um Andrew Gage und die Frage wer Andrew Gage eigentlich ist. Das ist nämlich nicht unbedingt einfach zu beantworten. Andrew Gage leidet an multipler Persönlichkeitstörung und vereint ungefähr 40 verschiedene Personen in seinem Körper. Dabei ist er mittlerweile Herr der Lage. Früher war sein/ihr Leben bestimmt durch Chaos und Black Outs, da sich je nach Situation immer unterschiedliche Charaktere in den Körper gedrängt haben. Der eine wusste teilweise vom anderen nichts. Mittlerweile wohnen sie alle zusammen in einem "Haus", eine durch Therapiesitzungen geschaffene Innenwelt, in der jeder Charakter seinen festen Platz und seine feste Aufgabe hat. Andrew ist derjenige der den Körper kontrolliert und die anderen übernehmen ihn nur, wenn sie die Erlaubnis dazu haben. Die große "All in one body -WG".
Dieser Andrew Gage trifft nun im Verlauf des Romans auf Penny, auch eine multiple Persönlichkeit, die aber noch nicht die Bewusstheit über ihre Krankheit erlangt hat und deswegen immer wieder ohne jede Erinnerung an Orten aufwacht ohne zu wissen wie sie dort landen konnte. Die Begegnung des kontrollierten Multiplen auf den im Chaos Lebenden setzt die weitere Handlung in Gang. Dabei haben wir es mit einer Fülle von Charakteren zu tun, Dialoge, die nur in einer Person stattfinden, Menschen, die die Kontrolle verlieren und machthungrige Seelen im gleichen Körper, die diese wieder übernehmen. Jede Persönlichkeitsabspaltung hat ein eigenes Profil, Eigenart und Funktion. Da wir jede Stimme für voll nehmen, bringt uns der Roman über diesen formalen Erzählaspekt deutlich nahe wie eng es in einer Haut mit 50 Leuten sein muss. Ihr wollt wissen wie sich das anfühlt, dann schnappt euch dieses Buch... Recommended...

In letzter Zeit habe ich mehrer Bücher, die sich mit verschiedenen psychischen Krankheiten oder Entwicklungsstörungen auseinandergesetzt haben, gelesen. Wer an guten Büchern zu diesen Themen Interesse hat, sollte ein Auge auf Supergute Tage oder die sonderbare Welt des Christopher Boone von Mark Haddon werfen. Ein Roman aus der Sicht eines autistischen Jungen. Oder Spider von Patrick Mc Grath, die Romanvorlage zu David Cronenbergs gleichnamigen Films, in dem Dennis Cleg nach zwanzig Jahren Aufenthalt in einer psychatrischen Anstalt entlassen wird und in die Gegend seiner Kindheit zurückkehrt.

Die Festung der Einsamkeit von Jonathan Lethem

Das Buch von Jonathan Lethem Die Festung der Einsamkeit ist mit Abstand eins der besten Bücher, das ich seit langer Zeit gelesen habe und wir haben es hier nach Jonathan Franzen (Die Korrekturen) und Jeffrey Eugenides (Virgin Suicides, Middlesex) wohl mit dem nächsten großen Player der amerikanischen Literatur zu tun. Das der Johnny was auf`m Kasten hat, war mir schon nach Motherless Brooklyn klar. Aber mit diesem wirklich epochalen Knaller hat er jetzt den Vogel abgeschossen. Ich hab diesen 700 seitigen Schinken wirklich in 5 Tagen eingesogen und war am Ende echt traurig, dass ich so schnell durch war. Ganz großes Kino !
Der Roman heißt im Original The Fortress of Solitude und bezieht sich auf Supermans geheimes Versteck im ewigen Eis. Der Roman handelt von einer weißen Hippie Familie, die in den 70ern als eine der ersten in eine durchweg schwaze Nachbarschaft zieht. Dylan Ebdus, der 10 jährige Sohn der Familie, ist in diesem Territorium fremd, ein Außenseiter, ein Opfer. Nachdem Dylans Mutter die Familie plötzlich verläßt, spurlos verschwindet und sein Vater, ein kauziger Künstler, sich in seinem Atelier verschanzt, flüchtet sich Dylan mehr und mehr in die Welt der Comics und Superhelden. Auf der Straße ist er für die anderen Kinder nur der Whiteboy, der ganz unten in der Block Hierarchie steht. Das ändert sich erst als Dylan die Bekannschaft mit dem gleichaltrigen Mingus Rude macht, Sohn einer schwarzen Soul Legende und ein Kind, das was zu sagen hat auf den Bürgersteigen ihrer kleinen Welt. Wir verfolgen die beiden durch die 70er Jahre. Ihre Liebe zu Comics, ihr erster Kontakt mit Graffitti und HipHop. Man wird mit ihnen gemeinsam Älter und kommt an den Punkt, an dem sich komischerweise alles ändert. An dem Wege auseinander gehen, an dem die Zeit an jedem unteschiedlich nagt und wir unseren eigenen Pfad durch den Dschungel schlagen. Und dabei lassen wir Federn. Und schaffen uns immer wieder unsere Festungen der Einsamamkeit, aber auch des Schutzes und der Geborgenheit. Dieser Roman erzählt von Freundschaft, von Aufwachsen, von Außenseitertum, von Brooklyn, dem Entstehen von Subkulturen, von Tags, Dosen klauen, Blockpartys und Superhelden. Dieser Roman ist so prall und vielseitig, dass ich noch ewig weiter schreiben könnte. Ich höre damit auf, denn wenn ich jemals eine Buchempfehlung ausgesprochen habe, dann diese hier. Pflichtlektüre.

Interviews mit Jonathan Lethem:

Powells.com
The Morning News

BBC Collective (Audio Interview) 1- on his Johna Wayne obsession
BBC Collective (Audio Interview) 2- on the subectivity of memory
BBC Collective (Auido Interview) 3- on mixing reality with hyperreality

New Partisan - Artikel über The Fortress of Solitude


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Kafka am Strand von Haruki Murakami

In letzter Zeit habe ich für gute Bücher ein goldenes Händchen gehabt und Geschmack bewiesen. Selten war ich so gefesselt, dass ich eine 700 seitendicke Schwarte im normalen Alltagsgeschäft in kürzester Zeit weggeatmet habe. Seit dem Urlaub und Der Festung der Einsamkeit befinde ich mich quasi in einem permanenten Leserausch. Tatsächlich gehe ich manchmal sogar "früher" ins Bett, um mir noch ein paar Seiten zu genehmigen. Und das soll für einen 32 jährigen notorisch nicht ins Bett-Geh-Woller schon was heißen.
Kafka am Strand ist ein mordernes Märchen für Erwachsene. Kafka Tamura, ein 15 jähriger Junge, entflieht einem entleerten Zuhause, welches vor Jahren schon von seiner Mutter und seiner größeren Schwester fluchtartig ohne Ankündigung verlassen wurde, als Kafka vier Jahre alt war. Seitdem trägt er eine verstörende Prophezeihung seines Vaters mit sich herum, die besagt, dass er seinen Erzeuger umbringen und sich ganz ödipusgleich mit seiner Mutter und auch seiner Schwester vereinigen wird. Im Mittelpunkt des parallel verlaufenden Erzählstrangs steht Nakata, der die Fähigkeit besitzt mit Katzen zu sprechen, seit dem der als Grundschulkind mit seiner gesamten Klasse in eine kollektive Bewusstlosigkeit gefallen ist und als einziger danach in einem Koma verweilte, aus dem er viel später erst wieder mit geistigen Defiziten aufwachte. Nakatas und Tamuras Schicksale scheinen auf mysteriöse Weise miteinander verbunden zu sein und sie bewegen sich im Lauf des Romans immer weiter aufeinander zu.
Was ich an Haruki Murakami so schätze ist, dass er es so meisterhaft versteht eine Geschichte in einem realen Raum zu beginnen und sie ganz, ganz langsam in traumähnliche Welten abgleiten zu lassen. Eine verfremdete Realität, die uns irgendwie gerade noch bekannt, aber trotzdem so anders vorkommt. Wahrnehmung, die Frage nach der eigenen Identität, der inwärtsgewandte Blick sind zentrale Themen in diesem Roman, in dem sich die Hauptfiguren ganz ihren griechischen Ahnen gleich auf einer vom Schicksal gesteuerten Reise befinden.
Wer die trivale Eindeutugkeit liebt lässt lieber die Finger weg von diesem Buch. Ich habe es sehr genossen und kann es euch sehr weiterempfehlen.

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Bookcrossing

Ich sage euch. Heute ist mir was passiert. Ich war auf meiner Flickr Seite, um meinen Account zu checken und wurde benachrichtigt, dass neue Kommentare zu meinen Bildern gepostet wurden. Unter dem Namen der Person, die ewtas zu meinen Bildern geschrieben hatte, befand sich immer der gleiche Link namens Bookcrossing. Neugierig wie ich bin, habe ich dann die Einladung dankend angenommen, um mal zu schauen, was sich da so hinter verbergen mag. Und wahrlich ich sage euch. Eine Fundgrube für alle Bücherwürmer und Privardetektive. Auf dieser Seite kann man Bücher, die man selber schon gelesen hat und die man nicht mehr in seinem Regal vergammeln und verstauben lassen will, regestrieren. Man erhält einen Code, den man dann in seinem Buch hinterlässt. Danach verschenkt man es an Freunde, an eine wohltätige Vereinigung oder man lässt das Buch "frei". Man wildert es aus. D.h. man lässt es irgendwo liegen, man versteckt es, man nimmt es mit auf Reisen... oder, oder, oder... Der Phantasie sind keine Grezen gesetzt. Natürlich hofft man, dass der nächste Finder, den Code und den Hinweis auf die Bookcrossing Seite findet, die Homepage aufsucht, den Code eingibt und einen Eintrag hinterlässt, wo er das Buch gefunden hat, wie es ihm gefällt und was er gegebenenfalls damit anstellen möchte. So kann man die Reise der Bücher weltweit verfolgen.
Genauso kann man aber auch auf der Internetseite von Bookcrossing recherchieren welche Bücher gerade "in the wild" sind, d.h. ausgesetzt wurden und noch gefunden werden können. In dieser Kategorie kann man sich dann durch die einzelnen Länder klicken, um zu überprüfen wo und wann, welches Buch ausgesetzt wurde. Ich habe mich natürlich gleich auf die Suche gemacht. Deutschland, Hamburg, Altona... und siehe da... hier sind so einige Bücher wie Ostereier im Umlauf und warten nur darauf wie Schätze gehoben zu werden. Da findet man Einträge wie: "Hab mein Buch beim Joggen im Volkspark ausgesetzt", "Mein Buch steht jetzt in der Neuen Zentralbibliothek", "Ich habe mein Buch neben der Kasse im Zeise Kino unter den Fabrik-Flyern versteckt", "4 Bücher im Mercado Schließfach No. 19".... usw. Der letzte Hinweis wurde vor 5 Tagen hinterlassen und führt den willigen Schnüffler in die Bibliothek der Bundesanstalt für Fischerei in der Palmaille. Ich konnte es mir natürlich nicht verkneifen und hab mich gleich auf mein Fahrrad gesetzt, um da mal vorbeizuschauen und freigelassene Bücher in fremden Regalen wieder einzufangen. In die Bücherei kommt man eigentlich nur mit vorheriger Anmeldung. Aber ich habe den Pförtner so dreist und zielstrebig nach der Bibliothek gefragt, dass er mir den Zutritt nicht verwehren konnte. Nachdem ich also in die heiligen Hallen des Fisches eingedrungen war, wollte ich sofort zwischen den Regalen untertauchen, um dem Blick der Höllenhund-Bibliothekarin zu entweichen. Die hat mich dann aber sofort hochgenommen und ich musste meinen unerlaubten Zutritt gestehen. Beim Stichwort Bookcrossing war dann aber alles klar, sie hat mich an die Hand genommen, mich zu einem Regal geführt und es mir als OBCZ vorgestellt. Wat ? In der Bookcrosser Sprache bedeutet das "offical book crossing zone". Also Plätze, die extra für Bookcrossing quasi reserviert wurden. Ich habe mich dann durch das Regal gewühlt und mir drei Schwarten mitgenommen. Unter anderem die Autobiografie von Elias Canetti "Die gerettete Zunge" und "Gullivers Reisen". Weltliteratur, ab in meinen Kescher. Auf dem Innenumschlag war dann auch sogleich ein Bookcrosser Zettel geklebt, auf dem der Code stand und vom wem das Buch in die Freiheit entlassen wurde. In diesem Fall gebührt mein Dank Kichererbse01. Zu Hause angekommen habe ich mich dann mit dem Code bei Bookcrossing eingeloggt, um einen Kommentar zu hinterlassen und es ist selbstverständlich, dass ich es nach Beendigung ebenfalls wieder auf die Reise schicken werde.
Naja, vielleicht auch nicht. Ich horte ja so gern immer alles und wenn das Buch gut war kann ich mich sicher nicht mehr davon trennen. Deswegen werde ich alle meine Scheißbücher registrieren und überall rumliegen lassen. Die Welt wird überflutet von meiner Scheißliteratur, die ich mich nicht getraut habe zu verbrennen oder wegzuschmeißen. Soll sich doch jemand anders mit diesem Scheiß rumquälen. Bei meiner Recherche habe ich Bücher entdeckt, die schon über 200 Bestitzer ihr Eigen nennen konnten. Und Verstecke denken sich die Bookcrosser aus. Bücher über Schiffe werden da in wasserdichten Plomben in Brunnen versengt oder der Gartenbauratgeber im Kompost angelegt. Außerdem gibt es Tips wie Bücher am besten der Witterung standhalten und extra Flyer, Etiketten und Logos, mit denen man seine Bücher kennzeichnen kann.
Na... seit ihr angefixt... wollt ihr auch suchen gehen... oder wisst ihr sowieso nicht, was ihr mit eurem ganzen Leseberg, der euch langsam aus der eigenen Wohnung verdrängt, machen sollt. Dann also ab zu Bookcrossing.



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